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Samanta: Ich will den Menschen Mut machen.

​Meine Geschichte: Leben als Erwachsene mit angeborenem Herzfehler


Am 12. Januar 1987 erblickte ich in Solothurn das Licht der Welt. Mit 4350g und 54cm war ich ein grosses und schweres Baby. Kurz nach der Geburt mussten meine Eltern und die Ärzte aber feststellen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich lief blau an, weshalb schnell gehandelt werden musste, und ich wurde sofort mit Blaulicht ins Inselspital in Bern gebracht.


TGA (Transposition der Grossen Arterie) lautete die Diagnose. In meinem Fall ist der Anschluss der Hauptschlagader (Aorta) an die rechte statt die linke Herzkammer (Ventrikel) angeschlossen. Das aus dem Körper kommende sauerstoffarme Blut wird direkt wieder in den Kreislauf zurückgeschickt, worüber die Organe eigentlich mit Sauerstoff versorgt werden sollten. Auf der anderen Seite wird sauerstoffreiches Blut, aus der Lunge kommend, von der linken Herzkammer sinnlos in die falsch angeschlossene Lungenschlagader (Pulmonalarterie) zurückgeführt. Folge ist die sogenannte Blausucht. Die bläuliche Verfärbung meiner Haut direkt nach der Geburt ist ein Symptom für eben diese.


Der erste Eingriff, eine atriale Ballonseptostomie (Rashkind-Verfahren), musste umgehend vorgenommen werden. Mir wurde über die rechte Leiste ein Katheter mit einem Ballon in den linken Vorhof des Herzens eingeschoben. Der Ballon wird bei einem solchen Eingriff aufgeblasen und sofort in den rechten Vorhof gezogen, wodurch sich die Öffnung in der Vorhofscheidewand vergrössert und sauerstoffreiches Blut in den Körper gelangen kann.
Dass ich so gross und schwer zur Welt kam, erlaubte es, die grosse Operation am offenen Herzen nicht unmittelbar nach der Geburt vornehmen zu müssen. 1988 wurde dann dieses Operationsverfahren der Vorhofumkehr nach Sennig bei mir durchgeführt.


Dabei wird die Vorhofscheidenwand entfernt und auf Vorhofebene eine künstliche Umleitung des venösen Bluts geschaffen, so dass das sauerstoffreiche Blut in den Körperkreislauf gelangen kann. Aorta und Lungenschlagader bleiben aber an den «verkehrten» Stellen. Das bedeutet, dass jetzt, entgegen dem natürlichen Kreislauf, die rechte Herzkammer in den Körperkreislauf pumpt und die linke in den Lungenkreislauf. Es klingt verrückt, jedoch funktioniert mein Herz also im Vergleich zu einem gesunden Herzen «verkehrt».


Heute weiss man, dass jedes 100. Kind betroffen ist. Das ist viel und es gibt verschiedene Herzfehler oder Erkrankungen. Von Fachpersonen wurde meinen Eltern vieles gesagt, wie zum Beispiel, dass ich mein 6. Lebensjahr nicht erreichen würde, Feinmotorikprobleme auftreten könnten, dass sich später in der Entwicklung Gehirnschäden zeigen könnten oder sich das Wachstum wohl verzögere und vieles mehr. Alles das traf aber glücklicherweise überhaupt nicht ein. Man muss Ärzt:innen nicht immer alles glauben oder darf weiterhin hoffen, auch wenn man mit düsteren Prognosen konfrontiert wird.


Meine zwei Geschwister sind kerngesund. Ich bin das mittlere. In der Familie bin ich die Einzige mit einem Herzfehler, aber für mich gab es keine Sonderbehandlungen meinen Geschwistern gegenüber. Im Verlauf der Jahre habe ich mich prächtig entwickelt. In der Schule nahm ich am Sportunterricht teil, durfte mit anderen Kindern draussen spielen, mich austoben, ich machte also genau das Gleiche, was auch «gesunde» Kinder machen.


Mein Herzfehler wurde eigentlich während meiner ganzen Kindheit und Jugend gar nicht gross erwähnt. Über längere Zeit wurden sogar die Routinekontrollen vergessen. Ich kann mich nur noch erinnern, dass im Teenageralter dann die Untersuchungen alle zwei Jahre stattgefunden haben, wie dies auch heute immer noch der Fall ist.


Mir wurde allerdings in diesen jungen Jahren durchaus sehr bewusst, dass ich anders bin als die anderen Kinder. Die grosse Narbe an meiner Brust wie auch jene am Bein blieben sichtbar und erinnerten mich daran.
Es wissen nur sehr wenige Leute, dass ich mit einem Herzfehler geboren wurde. Ich will nicht anders behandelt werden oder Mitleid von meinen Mitmenschen.


Nach der Schule habe ich eine Lehre als Hochbauzeichnerin mit der Berufsmaturität absolviert. 2012 startete ich berufsbegleitend das Architekturstudium in Burgdorf. Seit 2017 arbeite ich als diplomierte Architektin.
Ich führe ein ganz normales Leben, wie dies auch gesunde Menschen tun, nichts Spektakuläres. 100% Arbeit, Haushalt und die übrige Zeit widme ich meinen Hobbys.


Nach meiner grossen Operation verlief mein Leben also ganz unkompliziert. Man wird älter, ich wurde älter, ganz normal. Wenn dann wieder die nächste Routinekontrolle bevorsteht, mache ich mir schon Gedanken und Sorgen, ob alles in Ordnung ist. Eine gewisse Unsicherheit oder auch Angst habe ich schon, ansonsten würde ich lügen. Im Laufe der Jahre habe ich aber gelernt, damit umzugehen.


Was ich persönlich tun kann, um meine Gesundheit positiv zu beeinflussen, setze ich um. Um mein «repariertes» Herz möglichst gesund zu erhalten, spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle für mich.
Zum Beispiel die Ernährung. Ich koche immer frisch, vielseitig und bunt, in der Regel mediterran, um alle Nährstoffe und Vitamine abzudecken. Das Gemüse, Obst und Fleisch kaufe ich mir in Biohofläden.
Ein weiterer Faktor ist das Mindset.


Das Leben besteht leider nicht nur aus guten Dingen. Ich hatte schwierige Zeiten in meinem Leben, wer hat die nicht. Mit Schicksalsschlägen, Trennungen, Verlusten usw. musste ich mich schon in sehr jungen Jahren auseinandersetzen. Das Herz leidet und die Emotionen sind sehr intensiv und spürbar. Man darf aber die Hoffnung nicht verlieren und muss entgegensteuern. Was ich vor allem in den letzten Jahren sehr gelernt habe, ist, resilient zu sein. Wenn ich nichts ändern kann, akzeptiere ich die Situation, oder wenn ich etwas dagegen tun kann, nehme ich es selbst in die Hand und handle.


In unserem heutigen hektischen Alltag ist es umso wichtiger, dass man Sorge zu sich trägt und Sachen unternimmt, die dem Herzen guttun. Bei mir sind es lange Spaziergänge im Wald oder mit guten Freunden Zeit zu verbringen. Auch Tiere besitzen diese grosse Stärke, dass wir in ihrer Gegenwart wieder Ruhe finden können. Für mich sind deshalb Elsa, meine Nachbarskatze, und Icona, die «Lassyhündin» meiner Kollegin, sehr wichtig, sie tragen viel zu meinem Wohlbefinden bei. Häufig sind Tiere die besseren Menschen.


In meiner verbleibenden Zeit übe ich gerne meine Hobbys aus. Eines davon ist Zeichnen und Malen sowie diverse Schriftarten auszuprobieren und selbstgemachte Karten zu gestalten. Schon als kleines Mädchen hatte ich unzählige Malbücher und im Kindergarten war ich immer am Malen und Zeichnen. Es ist wie eine Therapie, wobei man die Zeit vergessen kann. Zimmerpflanzen und Aussenpflanzen sind ebenfalls meine grosse Leidenschaft. Man kann nie genug bekommen. Wie auch von Blumen. Diese sind für mich das Lächeln der Erde und tun der Seele gut.

 

Der allerwichtigste Punkt in meinem Leben ist aber der Sport. Trotz Herzfehler geht das ganz gut. Klar zeigen sich irgendwo Grenzen. Dass ich nie werde einen Marathon laufen können oder keine Profisportlerin sein kann, ist mir bewusst. Will ich ja auch gar nicht. Die Freude am Bewegen war aber immer da.


Zurzeit mache ich Crossfit und Weightlifting (Gewichtheben) im Crossfit Öuf in Zuchwil. Mit diesem Sport habe ich im Februar 2022 begonnen. Lange habe ich die Videos, die jeweils zeigen, was im Training auf uns zukommt, angeschaut und mich gefragt, ob ich das je schaffen werde. Und ob es überhaupt möglich ist, diese hohe Intensität zu erreichen oder die Kombination von Kraft- und Ausdauertraining zu vereinen, was nicht ohne ist. Es funktioniert und es bereitet mir so viel Spass. Ich habe fixe Trainingszeiten und gehe fünf bis sechsmal pro Woche trainieren. Ich bin sehr dankbar, kann ich beim Sport so gut mithalten. Beim letzten Belastungstest habe ich sehr gut abgeschnitten. Durch Bewegung und Sport habe ich mein Herz gut gestärkt. Was nicht über lange Distanzen geht, ist Joggen. Da muss ich einfach kurz anhalten, den Puls herunterbringen und kann dann erst weiter joggen.
Crossfit bedeutet Kraft- und Ausdauertraining, Explosivität, Gymnastics, also Elemente aus dem Turnsport, das sinnvolle Einteilen von langen Trainingseinheiten wie auch das Abschätzen, wie schwer die Gewichte während eines solchen Workouts sein dürfen, in einem. Es bedeutet auch, persönliche Grenzen kennenzulernen, dies teils zu überschreiten, aber sich dennoch nicht zu überlasten. All dies hat mein Herz zusätzlich verstärkt und auch mein Mindset. Crossfit bedeutet aber auch ein Ort, wo man wunderbare Zeit mit wunderbaren Menschen zusammen verbringen darf. Ich bin sehr dankbar, ein Teil dieser Gemeinschaft, in Crossfitsprache «Community», zu sein.


Falls ihr noch mehr über mich wissen wollt oder mir nicht glaubt, wie ich im Training mithalten kann, kommt vorbei und überzeugt euch mit eigenen Augen! Ich will Menschen mit einem Herzfehler und auch deren Angehörigen Mut machen, sie davon überzeugen, nicht Angst zu haben, Sport zu treiben und davon, dass man ein normales Leben führen kann. Bleibt positiv und sucht nach Alternativen. Es muss nicht gerade Crossfit sein.

 

Dank Herznetz darf ich mit meiner Geschichte viele Menschen erreichen.
Ein riesiges Dankeschön an Chantal Oberson (Top-Athletin im Crossfit) für das Durchlesen meiner Geschichte.

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